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Bertold Hummel äußerte sich nicht gerne über seine Musik. Er war der Meinung, dass sie für sich sprechen sollte. Dennoch verfasste er seit den 80er Jahren auf Wunsch diverser Interpreten und Veranstalter knappe und treffende Werkkommentare, die Sie - falls vorhanden - unter den jeweiligen im Werkverzeichnis wiederfinden können. |
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"Als Komponist fühle ich mich der Gemeinschaft, in der ich lebe, verpflichtet. Mein Bestreben ist es, einen bescheidenen Beitrag zu leisten bei dem Bemühen, die Welt humaner und lebenswerter zu gestalten. Das "Dreieck" Komponist - Interpret - Hörer ist für mich eine stete Herausforderung, die es gilt auf verschiedenste Weise zu bestehen, auf dem anspruchsvollen Niveau einer virtuosen Orchester- oder Kammermusikpartitur bis hin zum sehr ernst genommenen Komponieren für Laienmusiker und für Kinder. Ein "l´art pour l´art"-Standpunkt ist mir immer fremd gewesen." 17.5.1995
"In einer Zeit
der zunehmenden Säkularisation hat der schöpferische und
auch wohl der nachschöpferische Künstler die Aufgabe,
seine Mitmenschen auf das Transzendente, auf das
Unerklärbare und auch Unbeweisbare hinzuweisen. Die
Sprache der Musik - als der vielleicht weltumfassendsten
- kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Die
Darstellung des Leides und Grauens allein kann nicht der
immanente Bestandteil eines Kunstwerkes sein. Der
Hinweis auf Tröstung und Hoffnung ist unabdingbar.
Darüber hinaus geben Leben, Natur und für den Glaubenden
auch Gotteserkenntnis genügend Anlass zu Lob und Dank. 5. August 2001
"Ich fühle mich in meinem Denken A. Berg und O. Messiaen verwandt. Auch das "cantus firmus"-Denken von P. Hindemith und meines Lehrers H. Genzmer sowie deren spontane Musizierfreude haben mich immer wieder beeindruckt. An meinem Lehrer J. Weismann hat mich die impressionistische Klangphantasie sowie der harmonische Reichtum und die formale Vielfalt gefesselt. Ich habe mich nie zu den Avantgardisten gezählt! Zwar habe ich immer mit großem Interesse die experimentellen Versuche meiner Kollegen verfolgt und die eine oder andere Lösung für meine Arbeit nutzbar gemacht. So sehe ich für unsere gegenwärtige Situation die Möglichkeit, die vielfältigen Erkenntnisse geistig aufzuarbeiten - quasi in einer Synthese dessen, was an vielseitigen Anregungen vorliegt. Meine Liebe zur Tradition und zum sinnvollen (subjektiv gesehen) Fortschritt hat immer meine musikalische Sprache geprägt. Wahrscheinlich ist dies auch der Schlüssel zum internationalen Erfolg meiner Werke." 12. Juli 1981
"Meine musikalische Sprache ist nachdrücklich geprägt durch meinen frühen Umgang mit dem gregorianischen Choral. Als Sohn eines Kirchenmusikers und Lehrers kam ich in meiner Jugend in engen Kontakt zu Orgel und Chormusik von Palestrina über Bach, die Wiener Klassik, zu Bruckner und die Musik der Gegenwart. Hindemith, Bartók, Strawinsky, Schönberg, Wiener Schule (Berg und Webern), Schostakowitsch, Messiaen, Petrassi, Dallapiccola, Nono, Britten, Darmstadt, Paris waren sehr prägend. Aus der Vielfalt der Anregungen konnte ich einen eigenen Stil entwickeln, dessen Ziel es ist - Musik-Gedanken fassbar zu machen - so meine Meinung - und auf möglichst hohen Level ein Dreieck zwischen Komponist, Interpreten und Hörer zu erstellen. Ein l'art pour l'art - Standpunkt war mir immer suspekt, wie ich auch die Musik-Ästetik von Theodor W. Adorno seinerzeit sehr kritisch begleitet habe. Der Intoleranz einer gewissen Avantgarde möchte ich die humane Achtung für alle Wahrheitssucher gegenüberstellen." 5. August 2001
"Auch der Anachronismus hat manchmal seine Zeit" 4. Oktober 1995 |
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Gespräch mit Bertold Hummel (Januar 1998) Schmidt-Mannheim: Herr Hummel, Sie sind Kantor, Instrumentalist und Komponist. Wo sehen Sie das größere Gewicht Ihrer kompositorischen Tätigkeit? Betrachten Sie sich mehr als homo ludens oder als homo cantans? Hummel: Sie sprechen meine musikalischen Tätigkeiten vor dem Jahre 1963 an. Seit meiner Übersiedlung nach Würzburg habe ich das Amt des Kantors nicht mehr ausgeübt. Auch meine Tätigkeit als Cellist trat zugunsten der des Theorielehrers und des Komponisten mehr und mehr in den Hintergrund. Natürlich habe ich mir bis heute eine Vorliebe für die Kammermusik bewahrt und könnte mich als "homo ludens‘ bezeichnen. Sch.-M.: Das heißt, daß Sie heute noch - in kleinerem Rahmen - aktiv musizieren ... H.: ... ja, durchaus. Sch.-M.: Es ist keine Selbstverständlichkeit, daß ein Komponist auch ausübender Musiker ist. Manchmal kann ein Interpret in Schwierigkeiten gebracht werden, wenn der Komponist aus Unkenntnis Passagen schreibt, die unausführbar sind. H.: Für mich war es von Jugend an selbstverständlich, musikalisch zu praktizieren. Mein Lehrer Harald Genzmer legte größten Wert auf die Personalunion von Komponist und Interpret - allein schon aus existenzsichernden Gründen. Den von Ihnen angesprochenen Fall würde ich als "nicht professionell" bezeichnen. Sch.-M.: Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, warum wohl unter Ihren Kompositionen weit mehr Musik für Vokalensemble zu finden ist als für Sologesang, besonders in der geistlichen Musik. In Ihrem Werkverzeichnis fand ich nur drei geistliche Sologesänge. Wie kommt das? H.: Meine Werke für die menschliche Stimme konzentrierten sich während meiner Kantorenzeit in Freiburg und später in Würzburg auf die Komposition einer großen Anzahl von liturgisch gebundenen Motetten, Chorälen und Gesängen, wobei - nicht zuletzt - die persönlichen Kontakte zu den Domkapellmeistern Franz Stemmer (Freiburg i.Br.), Franz Fleckenstein und Siegfried Koesler (Würzburg) erwähnt werden müssen, die mich immer wieder beauftragten, für ihre Chöre Musik zu schreiben und auch für die Liturgie neue Gesänge zu entwerfen. Das erklärt wohl, warum ich relativ wenige geistliche Sologesänge geschrieben habe. Die weltlichen Gesänge entstanden fast ausschließlich für meinen Sängersohn Martin. Ich hatte übrigens vor, für den mit mir befreundeten Tenor Fritz Wunderlich und seine Frau, eine Harfenistin, Lieder zu schreiben. Durch seinen frühen Tod kam dieser Plan leider nicht zur Ausführung. Sch. -M.: Über Ihren Lehrer Harald Genzmer wurden Sie vermutlich mit der Kompositionslehre von Paul Hindemith bekannt gemacht. In Ihrer Biographie erscheinen illustre Namen, durch welche Sie Anregungen für Ihr Schaffen erhielten - ich denke an René Leibowitz, Olivier Messiaen oder Luigi Nono. Hier vermisse ich Hugo Distler, war er zu Ihrer Zeit in Freiburg bereits "überholt"? H.: Die Musik Hugo Distlers wurde während meiner Studienzeit an der Musikhochschule in Freiburg durch den genialen Chorleiter und Komponisten Konrad Lechner sehr gepflegt und galt damals keineswegs als überholt. Wir sangen alle Sätze des Mörike-Liederbuchs. Ich denke hier auch an die Aufführung der Weihnachtsgeschichte für Solisten und Chor a-cappella. Ebenso wurden die Chorwerke von Ernst Pepping gepflegt. Eine wunderschöne Motette mit dem Titel "Jesus und Nikodemus" ist mir deutlich in Erinnerung. Wir empfanden diese Musik als Erneuerungsbewegung im Schütz´schen Sinn, wobei die deutsche Sprache auf dieser Grundlage in neuer Weise dargestellt wurde. In einigen meiner Motetten habe ich diese Anregungen weiterentwickelt. Sch.-M.: Eine in den 50er und 60er Jahren aktuelle Frage war die Beschäftigung mit dem Jazz und seinen verwandten Stilen. Haben Sie unter Ihren Werken solche, die sich diesem Thema widmen oder annähern? Wie stehen Sie zu den sogenannten rhythmischen Liedern - haben diese eine Zukunft im Volksgesang der Kirche? H.: Es gibt
sicherlich in einigen meiner Werke Anklänge an den Jazz.
Spontan fällt mir eine Passage aus meiner Musik
für Saxophon und Orchester ein, wo eine
gregorianische Tonfolge eine jazz-artige Metamorphose
erfährt. Sch.-M.: Halten Sie es für sinnvoll, die Versuche wieder aufzunehmen, was das Zusammenwirken von Sinfonieorchester und Jazzband betrifft? H.: Es gab hierfür in der Vergangenheit eine Reihe von Beispielen. Am bekanntesten wurde wohl der Versuch von Rolf Liebermann mit dem "Konzert für Jazzband und Sinfonieorchester" aus dem Jahr 1954. Ich war damals bei der Uraufführung zugegen. Eine echt überzeugende Lösung, – wenn überhaupt möglich - Sinfonisches sinnvoll mit Jazz zu verbinden, bleibt vielleicht dem Gershwin des 21. Jahrhunderts vorbehalten. Sch.-M.: Sie hatten immer wieder Begegnungen mit renommierten Künstlern. Haben diese Ihnen Anregungen für neue Kompositionen vermittelt? Wen könnten Sie in diesem Zusammenhang nennen? H.: Die meisten meiner Werke sind auf Anregung mir befreundeter Künstler, Interpreten und Ensembles entstanden und größtenteils von diesen auch uraufgeführt worden. Ich habe eine Liste in alphabetischer Reihenfolge angefertigt, welche Aufschluß über diesen für mein Werk bedeutsamen Tatbestand gibt. Ich halte die Aufzählung der Namen für sehr wichtig, weil sie Bestandteil meiner Biographie sind. Von folgenden Künstlern wurde ich zu Kompositionen angeregt:
Sch.-M.: Welchen "großen" Komponisten sind Sie begegnet? H.: Persönlich
begegnet bin ich Benjamin Britten, Luigi Dallapiccola,
Alois Hába, Karl Amadeus Hartmann, Paul Hindemith,
Olivier Messiaen, Carl Orff, Goffredo Petrassi und Igor
Strawinsky. Die Aufzählung kann natürlich nicht
vollständig sein. Sch.-M.: Wie würden Sie, Herr Hummel, Ihren eigenen Kompositionsstil benennen wollen? H.: Das ist
eine schwierige Frage. Ich würde ihn benennen als einen
Stil der Metamorphose all dessen, was mich aus dem
musikalischen Weltrepertoire von Vergangenheit und
Gegenwart besonders beeindruckt, gepaart mit einem
starken persönlichen Ausdruckswillen - quasi als einen
schöpferischen Eklektizismus. Sch. -M.: Halten Sie in diesem Zusammenhang die Instrumentationslehre von Hector Berlioz noch für aktuell? H.: Es lohnt sich sicherlich, von Zeit zu Zeit in die von Richard Strauss weitergeführte Berliozsche Instrumentationslehre hineinzuschauen, ebenfalls in Rimskij-Korsakows "Grundlagen der Instrumentation". Seit etwa fünf Jahrzehnten dürfte wohl die "Technik des modernen Orchesters" von Casella-Mortari die umfassendsten Informationen anbieten. Ich hatte das Glück, den Komponisten Virgilio Mortari persönlich kennenzulernen und mit ihm in freundschaftlicher Verbindung Erfahrungen und Gedanken auszutauschen. Während meiner Tätigkeit als freier Mitarbeiter beim Südwestfunk Baden-Baden und bei der Komposition und Instrumentierung meiner Bühnen-, Hörspiel- und Filmmusiken konnte ich reiche Erfahrungen auf diesem wichtigen Sektor des Umgangs mit Instrumentalgruppen und Orchestern sammeln. Die Instrumentationslehre von Casella-Mortari ist übrigens in der deutschen Fassung Paul Hindemith gewidmet. Ich habe sie stets bei meinem Unterricht verwendet. Sch. -M.: Gibt es Kompositionen aus Ihrer Feder, die noch nicht aufgeführt wurden? H.: Es gibt nur ganz wenige Stücke meines Werkverzeichnisses, die noch nicht aufgeführt wurden, zum Beispiel das Fragment für großes Orchester op. 55c aus dem Ballett "Die letzte Blume". Meine grundsätzliche Einstellung ist diese, daß die Soziologie des Komponisten dahin zielen müßte, sich ein "Dreieck" aufzubauen zwischen Komponist, Interpret und Hörer. Wenn das funktioniert, hat er immer ein vis-a-vis. Ich habe stets versucht, dies meinen Schülern zu vermitteln, was mir allerdings nicht bei allen gelungen ist. Sch.-M.: Leiden Sie sehr unter einer - nicht auszuschließenden - Fehlinterpretation Ihrer Werke? Wie verhalten Sie sich in einem solchen Fall? H.: Natürlich leide ich, wie jeder Komponist, in dem angesprochenen Falle. Im Allgemeinen versuche ich, bei Proben noch Abhilfe zu schaffen. Sch. -M.: Sie haben als Interpret auch das Ausland bereist, unter anderem die damalige Südafrikanische Union und das stark vom deutschen Kulturleben beeinflußte heutige Namibia. Wie wirkte auf Sie die politische und kulturelle Situation? Waren die dort entstandenen frühen Werke in besonderer Weise durch das Ihnen fremde Land geprägt? H.: In
Südafrika war ich 1954/55. Die künstlerische Situation
in Namibia war von der in der Südafrikanischen Union
sehr verschieden. Während es zum Beispiel in Kapstadt
und Johannesburg Konzerte und künstlerische Aktivitäten
gab, die man mit denen in Europa vergleichen konnte, war
damals Namibia, aber auch andere kleinere Orte der
Südafrikanischen Union, reinstes musikalisches
Entwicklungsland. Die politische Situation der Apartheid
war für mich nicht nachvollziehbar und ist heute, Gott
sei Dank, überwunden. Damals entstand die Südafrikanische
Suite - quasi ein tönendes Reisetagebuch - mit den
Satztiteln: Ali Baba, Kalahari, Burentanz, Basuto-Elegie
und Heia Safari, die Willi Stech nach meiner Rückkehr
nach Deutschland mit dem Kleinen Orchester des
Südwestfunks Baden-Baden einspielte. Daneben komponierte
ich meine Kammeroper "Des
Kaisers neue Kleider". Sch.-M.:
Paul Hindemith schrieb angeblich für jedes Instrument
ein Werk, selbst für das Trautonium (wie übrigens auch
Harald Genzmer). H.:Ich habe für fast alle Orchesterinstrumente Sonatinen oder Solostücke geschrieben; dabei stellte ich mir hauptsächlich "junge Spieler" als Zielgruppe vor. Musik für Laienspieler hat für mich einen hohen pädagogischen Stellenwert. Es sind die Hörer von morgen. Hier stehe ich in der Hindemith-Genzmer-Tradition. Sch. -M.: Ihr Werkverzeichnis weist vergleichsweise viele Kompositionen für Schlagzeug auf. Ich entnehme daraus eine Vorliebe für diese Instrumentengruppe. Gibt es eine Begründung dafür, etwa die Situation in Würzburg? H: Selbstverständlich! Ich war damals nicht ganz unschuldig, daß Herr Fink hierher kam. Meine spätere Freundschaft mit Siegfried Fink und seinen Schülern hat natürlich viele Werke inspiriert. Ich habe mich dabei sachverständig gemacht, ließ mir vieles vorspielen und konnte dabei einen ganz eigenen Klangstil entwickeln. Sch. -M.: Frau Lotte Kliebert, die "große Dame" in der Musikwelt Würzburgs, beauftragte Sie damit, die Konzerte des "Studios für Neue Musik" in Würzburg zu leiten. Sie brachten vor allem Musik der jeweiligen Avantgarde in die Programme. Wie war das Echo bei den Hörern? H: Frau Lotte Kliebert war eine vorbildliche Idealistin und die lang jährige Vorsitzende des Tonkünstlerverbandes. Ich hatte die Freude, mit ihr von 1963 bis 1988 das Studio für Neue Musik in Würzburg zu leiten. Meine Intention war es, in dieser Stadt ein möglichst breites Spektrum der zeitgenössischen Musik vorzustellen und darüber zu informieren. Von bescheidenen Anfängen ausgehend, gelang es durch Beharrlichkeit, eine stattliche und getreue Hörerschaft zu gewinnen, die mit auf geschlossenem Interesse die Veranstaltungen besuchte. Natürlich richtete sich die jeweilige Resonanz auch nach der Qualität der Interpreten sowie der Kompositionen. Die Aufbauarbeit hat Früchte getragen. Die Konzertreihe wird jetzt weitergeführt durch Dr. Klaus Hinrich Stahmer und hat sich, wie ich glaube, in der Szene der neuen Musik in Deutschland einen guten Namen und Anerkennung erworben. Sch.-M.: Für wie notwendig halten Sie die Tätigkeit der Musikverbände? H.: Ich halte die Arbeit von Musikverbänden für wichtig und notwendig, da in unserer Massengesellschaft die Stimme des einzelnen völlig untergeht und politisch unwirksam ist. Für unabdingbar halte ich es, daß sich markante und einflußreiche Persönlichkeiten für die Mitarbeit in Berufsverbänden ehrenamtlich zur Verfügung stellen. Sch.-M.: Eine ganz persönliche Frage: Wie ist ihr inneres Verhältnis zu den verschiedenen Ehrungen, die Ihnen zuteil wurden? Es soll Menschen geben, welche behaupten, Ehrungen seien ihnen gleichgültig ... H.: ... ich glaube nicht, daß ich Ehrungen überbewerte, doch habe ich mich bisher jeweils darüber gefreut. Sch. -M.: Um auf eines Ihrer Jugendwerke zu kommen: Titel und Inhalt Ihrer Kammeroper "Des Kaisers neue Kleider" op. 10 scheinen nach wie vor aktuell zu bleiben. Manches zu seiner Zeit von der Kritik hochgelobte Werk verschwand sehr bald in der Versenkung. Wie stehen Sie zu den sogenannten "Uraufführungsstücken", die im elfenbeinernen Turm entstanden und um jeden Preis "neu" sein wollten - wie bewerten Sie die Resonanz auf solche angeblich modernen Stücke, die sich immer wieder als Seifenblasen erwiesen? Die Parabel von des Kaisers neuen Kleidern scheint mir ein griffiger Ansatzpunkt zu sein. H.: Es gehört zu den Privilegien des Alters, aus der Distanz heraus die "Kämpfe" der Avantgarde zu verfolgen. Meine Auffassung ist jetzt, am Ende dieses Milleniums, daß nach einem Jahrhundert, in dem das Experiment eine große Rolle gespielt hat, die Sehnsucht nach einer neuen Sprachfindung weltweit an Raum gewinnt. Gegen die Orthodoxie der jeweiligen "Richtung" wird sich meines Erachtens eine neue Ästhetik der pluralen Möglichkeiten durchsetzen. Ich bewerte diese Entwicklung generell positiv. Einerseits ist für den Komponisten nahezu das ganze Weltrepertoire abrufbar - dies gab es noch zu keiner Zeit - andererseits muß er im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten mit diesem Repertoire dauernd konkurrieren. Das kleine Nadelöhr in die Öffentlichkeit muß immer wieder gefunden werden, dabei muß jeder ganz allein über seinen Weg entscheiden. Sch. -M.: Nach diesem ernsten Thema ein Seitenblick auf den Humor in Ihrem Werk: Unter der Opuszahl 81f findet sich eine Komposition mit dem Titel "Three Hummel Figurines" H.: ... die sind mir ein wenig aufgezwungen worden. 1978 war ich in Oregon (USA) anläßlich der Uraufführung meiner Sinfonie für großes Blasorchester op. 67, die ich im Auftrag des Dirigenten Max McKee geschrieben hatte. Bei dieser Gelegenheit machte ich einige kleine Geschenke an den Dirigenten und seine Frau in Form kleiner Kompositionen für Blasorchester. Darauf kam die Frage: Dürfen wir diese Stücke "Hummelfiguren" nennen? Die Hummelfiguren waren damals in Amerika so sehr in Mode, daß ich immer wieder darauf angesprochen wurde, ob ich etwa mit deren "Erfinderin" Berta Hummel verwandt sei. Ich mußte verneinen, stimmte aber der Kuriosität halber der Namensgebung zu. Die Stücke werden - wie mir berichtet wird - in den USA, wo sie auch verlegt sind, oft gespielt. Sch. -M.: Zurück nach Deutschland. Sie waren lange Jahre als Kompositionslehrer in Würzburg tätig. Welche Zielvorstellungen hatten Sie bei Ihrem Unterricht? H.: Für die Tätigkeit als Kompositionslehrer habe ich viel Zeit und Intensität aufgewendet. Dabei kam es mir besonders darauf an, die angehenden Komponisten zunächst handwerklich zu schulen, ihre individuelle Veranlagung zu fördern, ihnen die Möglichkeiten der Realisation ihrer Stücke zu eröffnen und sie in möglichst großer geistiger Freiheit auf ihrem Weg zu begleiten. Sch.-M.: Anfang Januar 1998 ist Peter Jona Korn verstorben. Soviel ich weiß, waren Sie mit ihm eng befreundet. Was hat Sie an ihm beeindruckt? H.: Er war, wie ich, ein Einzelkämpfer und hat sich zeitlebens gegen jegliche Knebelung wortstark gewehrt, was ihm nicht nur Freunde gebracht hat. Die streitbare Diskussion ist meines Erachtens mit seinem Tod deutlich ärmer geworden. Sch.-M.: Oft stellen Komponisten, insbesondere französische, ein literarisches Motto ihren Werken voran. Wie intensiv wurden Sie durch Themen der Literatur und der Bildenden Kunst in Ihrem Schaffen angeregt? Die Kammeroper ist sicher ein Beispiel dafür. H.: Es gibt außer den textbezogenen Vokalwerken zum Beispiel die "Visionen" für großes Orchester op. 73 nach der Apokalypse des Hl. Johannes. Dann das "Poem" für Violoncello und Streicher op. 80 über das Stufengedicht von Hermann Hesse und die 3. Sinfonie op. 100 nach dem Roman "Jeremias" von Franz Werfel. Da wäre auch noch das Ballett "Die letzte Blume" op. 55a nach einer Bilderparabel von James Thurber zu nennen. Das Gemälde von Hans Thoma, "Die Stille vor dem Sturm" diente als Vorgabe für die sinfonische Dichtung op. 49 mit gleichem Titel. Schließlich die "8 Klangbilder" op. 99a für Schlagzeug solo, die nach Gemälden von Andreas Felger entstanden sind, darunter die geometrischen Figuren Dreieck, Viereck und Kreis. Ich schrieb auch ein Stück mit dem Titel "Mobile". Hier spielte ich mit einer musikalischen Reihe, wobei immer neue Konstellationen und Figuren entstanden bei gleichbleibendem Tonmaterial. Sch.-M.: Eine vielleicht indiskrete Frage: Welche Hobbys haben Sie? Die Antwort sagt ja etwas aus über den Menschen Bertold Hummel ... H.: ... da muß ich sagen: Das erste Hobby ist das Komponieren. Dann kommt Musikhören sowie Lesen, Reisen, Familie und hier besonders die Beschäftigung mit den Enkelkindern. Sch.-M.: Sie haben eine große Familie. Wieviele Kinder haben Sie, und welche von ihnen sind Musiker geworden? H.: Ich habe sechs Söhne, davon sind fünf Berufsmusiker geworden. Einer ist Theologe, er ist aber auch Hobby-Musiker. Von sechs Schwiegertöchtern sind vier vom Fach, so daß wir ein stattliches Ensemble zusammenstellen können. Ich spiele natürlich das Cello bei den Hausmusiken. Bei den Enkelkindern macht sich auch schon die eine oder andere Begabung bemerkbar, so daß ich große Lust verspüre, deren Entfaltung noch zu erleben. Sch.-M.: Darf ich fragen, was außer Hummel noch bei den Hausmusiken gespielt wird? H.: Es wird gar nicht so viel "gehummelt". Da erklingt einschlägige Kammermusik von Bach über die Wiener Klassik und Romantik bis zur Moderne, vor allem in größerer Besetzung. Sch.-M.: Wie sehen Ihre kompositorischen Pläne für die nächste Zeit aus? H.: Ich habe natürlich sehr viele Pläne, über die ich im allgemeinen nicht rede. Es liegt auch eine Reihe von Anregungen für neue Stücke vor. Momentan scheibe ich an einem Stück für Saxophon-Orchester, das durch die amerikanische Saxophonistin Linda Bangs angeregt wurde. Für die Internationale Orgelwoche in Nürnberg habe ich eine Komposition beendet, die den Teilnehmern des Wettbewerbs als Pflichtstück aufgegeben wird, ein "Benedicamus Domino" für Orgel. Es wird in der "Endrunde" gespielt, und ich habe die Aufgabe übernommen, zusammen mit der Jury die beste Interpretation herauszufinden. Sch. -M.: Das Gespräch mit Ihnen, Herr Hummel, war sehr instruktiv, und ich darf Ihnen weiterhin unverminderte Kreativität und Schaffenskraft wünschen. (aus Komponisten in Bayern 31: Bertold Hummel, hrsg. von A.L.Suder, Tutzing 1998)
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