Biografisches

Kurzbiografie - K. H. Stahmer: Biografische Notizen zu Bertold Hummel - Bilder

Klaus Hinrich Stahmer

Biografische Notizen zu Bertold Hummel

Bertold Hummel wurde am 27. November 1925 im badischen Hüfingen bei Donaueschingen geboren als viertes Kind des Volksschullehrers Gustav Hummel und seiner Ehefrau Cleopha, geborene Bernhard. Beide Eltern waren echte Schwarzwälder. Der Vater entstammte einer Uhrmacherfamilie aus Schonach bei Triberg und die Mutter war eine Müllerstochter aus Schönenbach bei Furtwangen. Da die Ausbildung zum Lehrerberuf in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg auch eine intensive musikalische Schulung beinhaltete, bei welcher Klavier-, Orgel- und Violinspiel sowie Chorleitung, Harmonielehre und Kontrapunkt Pflichtfächer waren, wurden die musischen Talente des Vaters so weit gefördert, daß man später von ihm immer nur als dem Lehrer, Chorleiter und Organisten sprach. Auch die Mutter war sehr musikliebend und machte mit ihrer humorvollen und von Herzenswärme getragenen Gastfreundschaft das Lehrerhaus zu einer allseits beliebten Begegnungsstätte, in der bei guter Kost ausgiebig musiziert, gesungen und gefeiert wurde. Lehrer, Pfarrer, Arzt und Apotheker waren damals noch die Kulturträger der kleinen, am städtischen Ideal ausgerichteten Gesellschaft und trafen sich regelmäßig zum Quartettspiel. So ist es nur selbstverständlich, daß auch der Sohn schon früh mit guter, klassischer Musik in Berührung kommt. Sonntags sitzt er neben dem Vater auf der Orgelbank und kennt sich rasch in den Notensystemen und Registerknöpfen aus. Dabei hört er selbstverständlich auch den gregorianischen Choral, der ihn Zeit seines Lebens stark beeindrucken und prägen wird. Das Spektrum der Chormusik, die er als Bub zu hören bekommt, reicht von Palestrina bis zu Zeitgenossen wie Hilber, Lemacher oder Schroeder. Als Webers "Freischütz" in der Festhalle Hüfingen gegeben wird, ist er ein begeisterter Zuhörer. (Foto)

Hatte Bertold Hummel schon in frühen Jahren alles in sich aufgesogen, was es auf dem Lande an wertvollen Eindrücken gab, erhält seine künstlerische Entwicklung neue Nahrung, als die Familie 1932 nach Merzhausen bei Freiburg umzieht. Der Bub, nunmehr siebenjährig, wächst in das lebendige Musikleben einer geschichtsträchtigen Stadt mittlerer Größe hinein und wird schließlich zum aktiven Teil davon. Der Vater, nunmehr Rektor, erteilt ihm Klavierunterricht. Unmerklich legt der Bub den harten Tonfall seines Geburtsortes auf der Baar ab und wächst in die eher singende Diktion des alemannischen Breisgaues hinein. Er ist noch jung (Foto), als die Bischofsstadt am Fuße des Schwarzwaldes von den nationalsozialistischen Machthabern "ergriffen" wird, aber daß sein Elternhaus der braungefärbten Ideologie skeptisch gegenübersteht, hat er schnell begriffen. Hier wächst seine vom hohen Ethos humanitärer und freiheitlicher Gesinnung geprägte Weltanschauung, der er in späterer Zeit als Komponist des öfteren Ausdruck verleihen sollte. Hummel erinnert sich, daß der Kauf eines Radiogerätes im Jahr 1934 und die damit eingeleitete Zeit des Hörens von Konzerten und Musikübertragungen zu den wichtigen Meilensteinen in seiner Entwicklung gehörte. Dies war und ist bis heute für ihn eine der wichtigsten Informationsquellen in Sachen neuer Musik.

Mit dem Eintritt in die Rotteck-Oberrealschule in Freiburg im Jahr 1936 beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Der Musiklehrer Wilhelm Weis erkennt sofort die besondere Begabung des Sextaners und sorgt dafür, daß Bertold Hummel Unterricht auf dem Violoncello erhält; (Foto) er selbst gibt ihm privatim Harmonielehre- und Kompositionsunterricht. Der Besuch eines Sinfoniekonzertes, den der Schüler seinen Eltern abgequengelt hat, wird zum Schlüsselerlebnis. Auf dem Programm steht Bruckners "Dritte". Seine Begeisterung ist grenzenlos, und er beschließt, Komponist zu werden! Neue Nahrung erhält dieser Entschluß, als er regelmäßig im Knabenchor in Wagners "Parsifal" in einer Aufführung der Freiburger Städtischen Bühnen mitsingt. Mit Wagner und Bruckner sind für den jungen Pennäler die ersten der bis heute nicht erloschenen Fixsterne am Himmel aufgegangen. Inzwischen sind auch mehrere Kompositionen entstanden, zum Teil bei Schulkonzerten ausprobiert und einer kleinen Öffentlichkeit vorgestellt worden, so daß man sich entschließt, einiges davon dem in Freiburg lebenden Komponisten Julius Weismann zur Begutachtung vorzulegen. Dieser erklärt sich ohne Zögern bereit, den Kompositionsunterricht zu übernehmen, doch die Kriegsumstände führen zu einem allzu frühen Ende dieser Unterweisung des Schülers. Persönliche Beeinträchtigungen muß der angehende Musiker hinnehmen, als seine langjährige Mitwirkung in der Hausmusik bei einer angesehenen jüdischen Familie in Freiburg denunziert wird. Mit achtzehn Jahren wird er zum "Reichsarbeitsdienst" und, sechs Monate später zum Militärdienst eingezogen. An musikalische Fortbildung ist nicht zu denken.

Spät in französische Kriegsgefangenschaft geraten, sieht er erste Chancen, doch noch Musik zu machen und hilft aktiv mit, eine Lager-Kapelle (Foto), bestehend aus Streichquartett, Holzbläsern, Posaune, Trompete, Saxophon, Akkordeon, Klavier und Schlagzeug zu gründen. Hier erklingen sein erstes Streichquartett und in seiner Instrumentation populäre Werke von Wagners "Grals-Erzählung" über klassische Ouvertüren bis hin zur Unterhaltungsmusik. Den fehlenden Kontrabaß bauen Mitgefangene nach seinen Angaben in der Lagerschreinerei, und, oh Wunder: er "klingt"! Nach fünf abenteuerlichen Fluchtversuchen gelingt es ihm im Jahre 1947, über Belgien und Luxemburg wieder in heimatliche Gefilde zu gelangen, um zunächst die schulische Ausbildung in einem Heimkehrerkurs an der Universität Freiburg mit dem Abitur zu beenden (Foto).

Nach dem obligatorischen Arbeitseinsatz bei dem Wiederaufbau der Stadt nimmt Hummel endlich das Musikstudium an der neugegründeten Hochschule für Musik in Freiburg auf und belegt seit 1947 Komposition bei Harald Genzmer, Violoncello bei Atis Teichmanis, Kammermusik bei Emil Seiler und Dirigieren bei Konrad Lechner. Hummels Studienkollege Dieter Weiss erinnert sich an diese frühen Studienjahre als "einzigartige Aufbruchszeit" (Foto), und Bertold Hummel spricht von einer "Nachholeuphorie der Heimkehrer-Generation". Bilder von Chagall, Braque, Léger, Picasso und Rouault wurden dank der Förderung durch die französische Militärregierung gezeigt. Paul Hindemith war zu Gast. Vier Professoren spielten im Treppenhaus des Wenzinger-Hauses am Münsterplatz, dem Hauptgebäude der Musikhochschule, Messiaens noch brandneues "Quatuor pour la fin du temps": Der Grundstock für Hummels nie erschöpfte Messiaen-Begeisterung war gelegt! Nachhaltig ist der Unterricht bei Genzmer, der mit seinem reichen Fundus universeller Bildung in Hummel die Grundlage einer am handwerklichen Denken orientierten Ästhetik schafft. Durch ihn lernt er das ganze Spektrum abendländischer Musik kennen. Von Hindemith herkommend, bringt Genzmer in dem jungen Komponisten ein Klangdenken zur Entfaltung, das sich wenig später dann bruchlos und organisch mit der völlig andersgearteten Harmonik Messiaens und Schönbergs zu einer durchaus eigenständigen Tonsprache verbinden sollte. Und auch die Überlegungen und Anregungen hinsichtlich der Formensprache waren bei Genzmer so geartet, daß sie sich in den Jahren nach dem Studium mühelos von Hummel mit dem Formdenken Strawinskys vereinen ließen. Wichtige Impulse erhält der wißbegierige Nachwuchskomponist in Kranichstein bei den Darmstädter Ferienkursen, wo es insbesondere Messiaen ist, der ihn als Persönlichkeit und Künstler zutiefst beeindruckt. Daß sich ihm dabei auch die Aufbruchs-Stimmung mitteilt und Hummel durch Leibowitz und Nono an die Musik der Schönberg-Schule gelangt, versteht sich von selbst. 1952 erscheint sein Name auf dem Programm der Donaueschinger Musiktage, hier wird die "Missa brevis" op. 5 uraufgeführt.

Nach sieben intensiv genutzten Studienjahren zieht es den Neunundzwanzigjährigen erst einmal in die Fremde. Er folgt zusammen mit eine Gruppe von jungen Künstlern der Einladung des Südwestafrikanischen Kulturvereins und begibt sich als Cellist auf eine zehnmonatige Konzertreise durch die Südafrikanische Union. Hierfür schreibt er einige Kompositionen- es sind mit die ersten, die Hummel in seinem Werke Katalog als gültig stehenläßt! Mit von der Partie ist die 1927 auf Sylt geborene Geigerin Inken Steffen, welche er in Swakopmund heiratet (Foto).

Zurückgekehrt nach Deutschland, übernimmt der nunmehr verheiratete Musiker eine Stelle als Kantor an St. Konrad in Freiburg und ist regelmäßig als Cellist (Foto) bei größeren Besetzungen im Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden und bei den Städtischen Bühnen Freiburg gefragt. Daß dabei auch seine Fähigkeiten als Komponist und Arrangeur zum Tragen kommen, versteht sich fast von selbst. Inzwischen werden die ersten seiner insgesamt sechs Söhne (Foto) geboren, und die Lebenshaltungskosten steigen. Seine Frau Inken versieht - übrigens bis weit in die neunziger Jahre hinein! - erfolgreich ihren Beruf als Violinpädagogin (Foto) und ermöglicht damit ihrem Mann, sich stärker auf das Komponieren zu konzentrieren. So entstehen die Kammeroper "Des Kaisers neue Kleider", ein Ballett für das Oldenburgische Staatstheater und nicht weniger als 50 Orgelsätze für das neue Orgelbuch der Erzdiözese Freiburg. Erste Auszeichnungen wie beispielsweise der Kulturpreis des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (1956), der Kompositionspreis der Stadt Stuttgart (1960) oder der Robert-Schumann-Preis der Stadt Düsseldorf (1961) kennzeichnen die Aufstiegskurve.

Die entscheidende Wende im Leben und in der künstlerischen Laufbahn Bertold Hummels ergibt sich aus der Berufung als Kompositionlehrer an das Würzburger Bayerische Staatskonservatorium der Musik im Jahre 1963. Zwar liegt der Schwerpunkt in den ersten Jahren mehr oder weniger ausschließlich im Erteilen von Tonsatz, Kontrapunkt, Generalbaß und Gehörbildung als den sogenannten Pflichtfächern im Ausbildungskanon der Sänger und Instrumentalisten, doch gelingt es ihm, zielbewußt und durch Einbindung von Werkanalysen zeitgenössischer Musik Kompositionsstudenten an das Haus zu binden und die Einrichtung einer Kompositionsklasse (Foto) zu erwirken. Im übrigen fällt Hummels erstes Wirken in Würzburg in eine Zeit, wo eine Reihe aufgeschlossener Kollegen seine Innovationsbestrebungen mitzutragen bereit ist. Die Kompositionen der sechziger Jahre spiegeln die Begegnung mit Kollegen wie beispielsweise dem Schlagzeuger Siegfried Fink und atmen den Hauch neuartiger Klangerfahrungen. In Lotte Kliebert, der Tochter des früheren Institutsleiters und Komponisten Karl Kliebert, findet Hummel eine engagierte Würzburger Persönlichkeit, die ihn zur Leitung des neugegründeten "Studios für Neue Musik" bewegen kann. Bis 1988 folgen viele Jahre verantwortungsvoller Aufbauarbeit in Sachen neuer Musik in der ansonsten dem Neuen gegenüber eher abwartenden Bischofsstadt am Main. In betonter Liberalität, was Fragen der Stilistik und Ästhetik betrifft, verschafft er allen möglichen Komponisten von Korn, Genzmer und Büchtger über Hába (Foto), Stockhausen und Rihm bis Lachenmann eine Plattform in Würzburg. Nach einem halbjährigen Aufenthalt in der Cité des Arts in Paris im Jahre 1968 wird ihm das Amt des stellvertretenden Direktors im Würzburger Musikausbildungsinstitut übertragen. Der Direktor, Hanns Reinartz, erwirkt einen Neubau für das Bayerische Staatskonservatorium. Als 1966 der Konzertsaal eingeweiht wird, erklingt Hummels 2. Sinfonie "Reverenza" unter der Stabführung des Hausherrn. Bei der Umwandlung des Instituts zur zweiten Bayerischen Musikhochschule im Jahre 1973 wird Hummel ordentlicher Professor und Leiter einer Kompositionsklasse. Nunmehr von den Aufgaben eines Pflichtfachunterrichts befreit, widmet er sich intensiv und nachdrücklich der Ausbildung von Nachwuchskomponisten und ist ihnen, soweit es seine Zeit neben dem eigenen Komponieren zuläßt, bei der Findung von Aufführungsmöglichkeiten behilflich. Daß dabei keine epigonale Bindung der Schüler an die mittlerweile ausgeprägt eigenständige Tonsprache des Lehrers erfolgt, darf als Zeichen einer stilistischen Weitherzigkeit Hummels positiv gewertet werden. In den bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 1988 absolvierten vierundzwanzig Unterrichtsjahren baut Hummel so etwas wie eine "Würzburger Komponistenschule" auf, deren Kennzeichen das Ethos hoher Handwerklichkeit und eine auffallende Praxisnähe sind. Erfolgreiche Komponisten wie Jeff Beer, Ulrich Schultheiß, Claus Kühnl, Klaus Ospald, Jürgen Schmitt, Horst Lohse, Jürgen Weimer, Hermann Beyer, Christoph Weinhart, Armin Fuchs, Christoph Wünsch, Tobias M. Schneid und andere stellen ihm ein gutes Zeugnis als verantwortungsbewußten und um die persönliche Reifung der ihm anvertrauten Schüler bemühten Pädagogen aus. 1979 scheidet Hanns Reinartz aus der Hochschulleitung, sein Stellvertreter Bertold Hummel wird zum Nachfolger gewählt. Nunmehr setzt Hummel seinen ganzen Ehrgeiz daran, beide Ämter - das des Präsidenten und das des Kompositionslehrers - ohne wesentliche Beeinträchtigung miteinander zu verbinden.

Als Sohn eines Organisten, selbst mehrere Jahre lang als Kantor tätig und der Erzdiözese Freiburg nahestehend, hat Bertold Hummel auch in Würzburg gute Möglichkeiten zur künstlerischen Arbeit auf kirchen-musikalischem Feld gefunden. Schon kurz nach seiner Übersiedelung nach Würzburg schafft er im Auftrag eine "Deutsche Messe" für Soli, Chor, Gemeinde und großes Orchester aus Anlaß der Wiederherstellung des Domes in der Mainfrankenmetropole im Jahre 1967. Vier Jahre später werden im Dom die "Metamorphosen über B-A-C-H" für elf Bläser und Orgel uraufgeführt - ein Auftragswerk der unter Günter Jena frischgegründeten Würzburger Bach-Gesellschaft. Krönender Höhepunkt dieser bisher für den Würzburger Dom geschaffenen Werke ist das aus Anlaß der 1300-Jahrfeier von Mission und Martyrium der Frankenapostel 1989 fertiggestellte und uraufgeführte Oratorium "Der Schrein der Märtyrer" nach einem Text des Bischofs Paul Werner Scheele. Um dieses abendfüllende große Werk für fünf Solisten, gemischten Chor, Knabenchor, Sprecher, drei Orgeln, Schlagzeugensemble und großes Orchester überhaupt bewältigen zu können, hat sich Hummel aus den Obligationen eines Hochschulleiters und -lehrers entbinden lassen: 1988 verläßt er den Hochschuldienst (Foto), bleibt dem Hause jedoch als Ehrenpräsident verbunden. Es ist das Jahr, in welchem ihn die Stadt Würzburg mit dem Kulturpreis ehrt, nachdem er zuvor schon in die Bayerische Akademie der Schönen Künste (1982) gewählt (Foto) und mit dem Bundesverdienstkreuz 1.Klasse (1985) ausgezeichnet worden war.

Seit den Jahren ohne die Bürde des Amtes komponiert Bertold Hummel unermüdlich und erfolgreich für große Klangkörper im In- und Ausland, bereist Länder wie die USA, Rußland, Australien, Frankreich, Österreich und Polen, um der Aufführung seiner Werke beizuwohnen und sorgt für Tonträger und Druckausgaben seiner Werke. Auszeichnungen wie der Bayerische Verdienstorden (1994), der Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (1996) oder der Kulturpreis der deutschen Katholiken (1998) belegen das hohe Maß an Akzeptanz und Achtung, die sich Bertold Hummel kraft seiner Persönlichkeit und seines künstlerischen Schaffens erworben hat.

Am 9. August 2002 stirbt Bertold Hummel nach kurzer schwerer Krankheit in Würzburg.

aus: Komponisten in Bayern: BERTOLD HUMMEL

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

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