Adagietto
für Streichsextett, op. 75d (1978/1999)
Uraufführung:
30. Oktober 1999, Güthersloh, Stadttheater Georg Döring / Wiebke
Corßen / Beate Corßen / Gregor van den Boom / Bertold Hummel / Michael
Corßen
Besetzung:
2 Violinen, 2 Violen, 2 Violoncelli Aufführungsdauer:
6 Minuten
Autograph:
Titel: Adagietto sacrale für Streichsextett op. 75e (sic) (1980)
Umfang: 12 Seiten
Datierung: 5.12.78
Aufbewahrungsort: Bayerische Staatsbibliothek München
Verlag:
Schott Music ED 20289 / ISMN: M-001-14994-5
Vorwort
(Schott Music
ED 20289) Vorliegendes
Adagietto beschäftigte Bertold Hummel viele Jahre. 1965 als Elegie
für Streicher konzipiert, wurde es im Jahr 1978 zum Adagietto für
Streichsextett umgeformt und 1993 zum ersten Mal gedruckt. 1999 bearbeitete
er das Werk noch einmal und brachte es selbst mit befreundeten Musikern zur Uraufführung.
Eine Partitur trägt im Titel den Zusatz "sacrale", was für
den religiösen Hintergrund dieser Musik spricht. "In
einer Zeit der zunehmenden Säkularisation hat der schöpferische und
auch wohl der nachschöpferische Künstler die Aufgabe, seine Mitmenschen
auf das Transzendente, auf das Unerklärbare und auch Unbeweisbare hinzuweisen.
Der Sprache der Musik - als der vielleicht weltumfassendsten - kommt hierbei eine
besondere Bedeutung zu. Die Darstellung des Leides und Grauens allein kann nicht
der immanente Bestandteil eines Kunstwerkes sein. Der Hinweis auf Tröstung
und Hoffnung ist unabdingbar. Darüber hinaus geben Leben, Natur und für
den Glaubenden auch Gotteserkenntnis genügend Anlass zu Lob und Dank."
Mit diesen Worten
formulierte mein Vater einmal sein künstlerisches Selbstverständnis.
Der von ihm gerne übernommene Begriff der "musikalischen Klangrede"
scheint mir im Adagietto besonders eindringlich umgesetzt zu sein. Martin
Hummel
In
seinem Adagietto für Streichsextett ergibt sich die Vielfalt
aus dem Spiel mit je zwei Geigen, Bratschen und Violoncelli. Eine unisono
von erster Geige und beiden Celli im p beginnende aufsteigende Melodie
führt in 12 Takten zum ff-Akkord, um dann sogleich, einen Ton höher,
neu von unten zu beginnen und seine Wirkung so zu steigern. In engen Intervallen
führen die Instrumente gemeinsam das Thema fort, steigern sich zu machtvollen
Akkorden oder atmen im pp aus. In weitgehend homophon geführter Bewegung
der Stimmen wird Spannung im engen gegenüber von pp und ff
aufgebaut. Solche Dynamik hält das ganze Stück über an und vermag
uns Zuhörern den Atem zu rauben. Der aufsteigenden Bewegung, mit der
das Stück beginnt, steht ein rhythmisch lebendiges zweites Motiv gegenüber,
das schon zu Beginn in der zweiten Geige als eine abfallende Linie eingebracht
wurde. Im Verlauf des Adagiettos entwickelt es Selbständigkeit, bevor
das Stück im ppp und still leuchtendem E-Dur zur Ruhe kommt.
Hans Jürgen Kuhlmann
(im Programmheft des Ensembles "Il Cappricio" Juli 2003) Presse Das
Orchester, 05/2008, Seite 58 So mancher Komponist beschäftigt
sich ein ganzes Musikerleben lang immer wieder mit einem einzelnen Werk, arbeitet
es um, verwirft es, konzipiert es neu oder veröffentlicht es in immer neuen
Fassungen. Richard Wagners Beschäftigung mit seinem Tannhäuser ist ein
solches Beispiel; die Oper wurde nach Ansicht ihres selbstkritischen Schöpfers
nie fertig – und ist doch ein Meisterwerk. Bertold Hummels Tannhäuser
ist sein Adagietto für Streichsextett op. 75d. Der Komponist hat es mehrfach
neu ausgelegt und – bevor die endgültige Fassung 1999 entstand –
auch bereits schon einmal veröffentlicht. Für Hummel scheint dieses
knappe und übersichtliche Streicherstück eine Art innerer Einkehrpunkt
gewesen zu sein, ein ganz wichtiger Fixpunkt seines Schaffens. Und auch an der
Uraufführung in Gütersloh drei Jahre vor seinem Tod war der Komponist
als Cellist unmittelbar beteiligt. Wie so häufig in Bertold Hummels Werken
fällt der unmittelbare musikantische Gestus seiner Schreibweise auf. Schon
durch die enormen Dynamikunterschiede erhält das Adagietto eine raumgreifende
Lebendigkeit und eine sehr große Unmittelbarkeit in der Wirkung. Klanglich
setzt der Komponist auf die ganze Bandbreite der Ausdrucksfähigkeit des eingesetzten
Streicherapparats. Die sechs Stimmen sind gefordert, auf relativ engem Raum erhebliche
Kontraste darzustellen und dennoch nie den Fluss und die Vorwärtsbewegung
der Musik zu vernachlässigen; eine Vorwärtsbewegung, die sich nicht
im bloß Motorischen erschöpft, sondern zielgerichtet einem entspannten,
ausgeglichenen Ende entgegenstrebt. Vor diesem ruhevollen Schlusspunkt jedoch
entwickeln sich hochverdichtete musikalische Impressionen aus kleinsten tonlichen
und motivischen Zellen. Die jeweils zwei Violinen, Bratschen und Violoncelli entwerfen
dabei Strukturen, die in ihrer Entstehung und Veränderung stets gut nachvollziehbar
und plastisch gegeneinander abgegrenzt sind. Gefordert werden von den Ausführenden
dabei eine hohe Transparenz im Zusammenspiel, ein in allen dynamischen Abstufungen
äußerst tragfähiger Ton und eine ausdrucksstarke Linienführung.
Bertold Hummels Adagietto mag in seinem jahrzentelangen Entstehungsprozess
mancher Veränderung unterworfen gewesen sein. In jedem Fall aber tritt uns
das finale Entwicklungsstadium als ein Konzentrat an klanglicher und struktureller
Tiefenschärfe entgegen – als eine Musik, in der schlicht alles am richtigen
Platz scheint. Daniel Knödler
Winnender
Zeitung, 4.05.2004 Ein
Werk aus dem 20. Jahrhundert entführte in eine völlig andere Welt: "Adagietto
für Streichsextett" von Bertold Hummel (1925 - 2002). Toncluster
und Klangwolken, expressiv und voller Dissonanzen, von den Instrumentalisten lustvoll
ausgekostet. Dann wieder Klänge gleich einem Aufschrei oder gleichförmiges
Wiederholen einer Melodie, die aus einer anderen Sphäre zu kommen schien:
Stimmungsbilder pur. Es dauerte Sekunden, bis sich die Spannung im Publikum durch
einen ersten Beifall löste. NMZ,
April 2008, (Seite 39: Neue Partituren - durchgesehen von Reinhard Schulz) Knappes
Stück, weithin singender, erfüllter Streichersatz Erweitert
tonal, breite Linien mit choralartigem, sakralem Hintergrund Notation
normal, ca. 6 Minuten, nicht schwer Sehr
erfülltes, andächtiges Streichersextett, "großer Klang"
Erstausgabe: J. Schuberth Co., Eisenach 1993
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