BERTOLD HUMMEL - Texte zu den Werken: opus 41b


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11 Haiku für gemischten Chor und Vibrafon, op. 41b (1973/74/87)


1. Der Frühlingsmond Hotta Bakusui 1720-1783

2. Der Schmetterling Taniguchi Buson 1715-1783

3. Pflaumenblütenzweig Sumi Taigi 1709-1772

4. Die gefangene Nachtigall Sumi Taigi 1709-1772

5. Das verirrte Kind Yoshida Ryusui

6. Ein bewölkter Tag Kusakabe Kyohaku gest. 1698

7. Kleine Mücken Matsuo Basho 1643-1694

8. Der Fuji-Berg im Regen Matsuo Basho 1643-1694

9. Herbststurm I Toyoma Rogetsu 1666-1751

10. Herbststurm II Morikawa Kyoroku 1652-1715

11. Todesvers (Frau Chine)

 

Uraufführung: 22. Januar 1987 / Rimpar / Schloß Grumbach
Kammerchor der Musikhochschule Würzburg / Juan Chavez / Josef Trompke

Aufführungsdauer: 15 Minuten

Verlag: Schott Music SKR 20068 / ISMN: 979-0-001-17869-3

 

Das Haiku - Dreizeiler aus 17 Silben (5-7-5) - diese aus China stammende kürzeste Form der Weltlyrik, bildet den Höhepunkt japanischer Dichtkunst. Ausgehend vom Spielerischen, findet es zu mythaphysischer Tiefe, die meist aber nur angedeutet wird. Ins Bildliche umgesetzte Gedichte gaben den Anstoß zur Komposition der 11 Haiku für gemischten Chor und Vibrafon. Knappheit und Prägnanz der Gedichte fordern ein Höchstmaß kompositorischer Konzentration. Die Dreiheit Zeit - Ort - Sinn, die das Haiku vermittelt, sollte man nicht in Denken umsetzen, sondern - wie Helwig sagt - das Gedicht "nachschweigen".

Bertold Hummel


Die japanische Haiku-Dichtkunst hat mich lange vor der Komposition meines op. 41b beschäftigt. Die poetische Knappheit und die Prägnanz der Bilder in diesen 17-silbigen Wortabläufen faszinierte mich ausserordentlich. Endlich fand ich im Jahre 1973 eine adäquate Übersetzung der Haiku-Texte, die ich zunächst für Chor a capella setzte. Anlässlich der Japanischen Woche in Würzburg im Jahre 1988 erhielten die 11 Haiku ihre endgültige Form und Fassung für gemischten Chor und Vibraphon.

Bertold Hummel (31. März 1993)


Der Frühlingsmond
Hotta Bakusui 1720-1783

Voller Frühlingsmond
und die Leute fragen noch:
Mensch, was starrst du so?


Der Schmetterling
Taniguchi Buson 1715-1783

Mittagssonnenglast,
auf der Tempelglocke schläft
sanft ein Schmetterling.


Pflaumenblütenzweig
Sumi Taigi 1709-1772

"Das ist nicht erlaubt",
sagte er und pflückte mir
einen Blütenzweig.


Die gefangene Nachtigall
Sumi Taigi 1709-1772

Laut, als sehe sie ihres
Käfigs Stäbe nicht, singt
die Nachtigall.


Das verirrte Kind
Yoshida Ryusui

Das verirrte Kind weint
und weint und hascht dabei
einen Glühwurm doch.


Ein bewölkter Tag
Kusakabe Kyohaku gest. 1698

Ein bewölkter Tag,
statt der Sonne leuchten
heut Kirschenblüten nur.


Kleine Mücken
Matsuo Basho 1643-1694

In der Klause mein
sind die Mücken klein und still,
andres hab ich nicht.


Der Fuji-Berg im Regen
Matsuo Basho 1643-1694

Auch an Tagen da Regendunst
den Berg verhüllt, bleibt er
wunderschön.


Herbststurm I
Toyoma Rogetsu 1666-1751

Wie der Herbststurm braust!
aber hoch am Himmel stehen Wolken
unbewegt.


Herbststurm II
Morikawa Kyoroku 1652-1715

Oh, zu allererst
blies der Herbststurm
grade die Vogelscheuche um.


Todesvers
(Frau Chine)

Wie es schnell erglüht,
wie es wieder schnell verlischt,
Feuerkäferlicht.

Die Übersetzungen aus dem Japanischen sind von Gerolf Coudenhove

 

Presse

Main-Post 24.1.1987

Es erwies sich auf frappierende Weise, wie gut es gerade in diesen kurzen, eine höchst konzentrierte Schreibweise erfordernden Bildern der Würzburger Komponist versteht, auf der Basis tradierter Formen moderne Strukturen zu entwickeln, ohne den atonalen Holzhammer schwingen zu müssen. Da "sitzt" in Stimmungsmalerei und Ausdruck jede einzelne Aussage, wenn Hummels Klangwelt etwa eine verhaltene Lyrik wie "Das Kind weint und weint, und hascht dabei einen Glühwurm doch" nachempfindet.


NMZ, April 2013

Neue Partituren durchgesehen von Max Nyffeler
Stilrichtung, allg. Charakter: Abwechslungsreiche Chorminiaturen über traditionelle Haiku-Gedichte, die meisten aus dem 17./18. Jahrhundert.
Form, Struktur: In erweiterter Tonalität, vorwiegend syllabisch mit polyphonen Elementen. Das Vibraphon umspielt und stützt den Vokalsatz.
Notation, Dauer, Schwierigkeit: traditionelle Notation, ca. 15 Minuten, eher leicht
Kommentar: Die ausgefallene Kombination Chor plus Vibraphon erzeugt eine leichte, schwebende Atmosphäre.


Erstausgabe: Anton Böhm & Sohn, Augsburg 1997