in memoriam Bertold HummelBer

Karl Heinz Wahren: in memoriam Bertold Hummel
Martin Hummel: Ansprache zum 27.11.2002

Thomas Daniel Schlee: in memoriam Bertold Hummel
Michael Wernicke OSA: in memoriam Bertold Hummel
Nachruf im Spiegel


Anläßlich einer Gedenkveranstaltung am 27.11.2002 in der Hochschule für Musik in Würzburg hielt Martin Hummel, der Sohn des Komponisten, folgende Ansprache:

Liebe Anwesende,

die Sie heute zusammengekommen sind, sich an Bertold Hummel zu erinnern.

Für die meisten von Ihnen ist der Name meines Vaters mit seinen Kompositionen verbunden, viele denken gerne an seine Herzlichkeit und seinen Humor zurück, einige haben ihn als Kollege, Mentor oder Freund in glücklicher Erinnerung.

Für unsere Familie ist er aus dem Alltag genommen. Ob es nun die Kinder sind, die in der Schule Großvaters blumengeschmückten Sarg malen oder wir Erwachsenen, die wir - so kurz nach seinem für uns überraschenden Tod - im Alltag immer wieder hinterrücks von tiefer Traurigkeit überfallen werden: wir versuchen uns daran zu gewöhnen, dass wir seine Stimme, seine Bewegungen und Berührungen nicht mehr wahrnehmen können.

In dieser für uns nicht leichten Zeit, wird uns jedoch bewußt, dass wir gegenüber manchen anderen Menschen, die einen solch schweren Verlust verarbeiten müssen, dies in einer großen Gemeinschaft Gleichgesinnter tun dürfen.

Die vielen Menschen, die sich zu seinem eindrucksvollen Requiem im Dom versammelt hatten, die vielen Musiker, die ganz spontan auf uns zukamen und mit ihrer Kunst den Verstorbenen an vielen Orten ehren wollten: Sie helfen uns, dass der Schmerz in Lieder schmilzt - wie es Tagore so schön ausgedrückt hat.

Heute, an seinem 77. Geburtstag sind wir besonders dankbar, dass die Musikhochschule wie selbstverständlich dieses Konzert in memoriam Bertold Hummel veranstaltet. Wir freuen uns, dass so viele Studentinnen und Studenten bereit waren in Gemeinschaft mit den Lehrenden, sich mit seinem Werk zu befassen.

Genau so hat mein Vater Musik verstanden - als eine menschenverbindene Kunst. Musik als Ausdruck der Freundschaft und Zuneigung.

Es hat uns gefreut, dass in den zahlreichen Nachrufen erkannt wurde, dass er sein Komponieren als bescheidenen Beitrag für eine humanere Welt verstanden hatte.

Es gibt kaum eine Komposition die er nicht Jemandem widmete, ob es ein Kind, ein großer Musiker oder der liebe Gott war.

Er wußte für wen er die Stücke schrieb. Als sein Enkelkind Fabian begann Geige zu spielen, komponierte er für ihn ein kleines Violinkonzert - natürlich in der ersten Lage. Als die Berliner Philharmoniker seine "Visionen nach der Apokalyse des Johannes" bestellten, war in den Violinen etwas mehr gefordert.

Wahrscheinlich rümpfte mancher Komponistenkollege über dieses Werkverständnis die Nase. Aber er fühlte sich als ein Teil der Gemeinschaft. "Keiner ist einzig für sich auf der Welt, er ist auch für alle anderen da." Dieser Spruch hängt noch heute über seinem Klavier.

Oft gab es einen konkreten Anlass zu einer Komposition. Ich erinnere mich noch gut, wie er am 4. Dezember 1976 erschrak, als er im Radio die Nachricht vom Tode Benjamin Brittens hörte. Er zog sich zurück und nach ein paar Stunden spielte er uns das eingangs gehörte Adagio am Klavier vor.

Der rapide geistige Zerfall seines lebensbejahenden Freundes Dietrich von Bausznern erschütterte ihn zutiefst und inspirierte ihn unmittelbar zum gehörten "in memoriam".

Das "Ave maria" (in der deutschen Fassung) schrieb er 1993 unter dem Eindruck des Todes seiner Schwester Erika. Ein Jahr vor seinem Tod beschäftigte er sich noch einmal mit der Komposition und hielt die lateinische Version nun für die gelungenere.

Ich meine, man hört in diesem Werk diese geistige Klarheit, mit der es ihm dann auch vergönnt war seinem eigenen Sterben entgegenzugehen.

In seinen letzten Lebensjahren brachte er, ganz entgegen seiner Gewohnheit, Stücke ewig unveröffentlicht zu lassen, diese bei verschiedenen Verlagen unter und revidierte frühere Werke.

Die Herausgabe der "Tastenspiele", die er immer wieder zu Geburtstagen und Taufen der Enkelkinder komponierte und vortrug, nahm er ungewohnt zügig in die Hand.

Texte für einen Liederzyklus nach skurrilen Gedichten von Hermann Hesse, die ich ihm bereits vor Jahren ans Herz legte, komponierte er als letztes Werk.

Bevor ich ihn ins Krankenhaus fuhr, besprach er mit mir letzte Korrekturen. In der Regel immer einverstanden mit meiner vorgeschlagenen Reihenfolge der Lieder, war es ihm diesmal wichtig, dass folgendes Gedicht am Schluß steht:

Belehrung

Mehr oder weniger, mein lieber Knabe,
Sind schließlich alle Menschenworte Schwindel,
Verhältnismäßig sind wir in der Windel
Am ehrlichsten, und später dann im Grabe.
Dann legen wir uns zu den Vätern nieder,
Sind endlich weise und voll kühler Klarheit,
Mit blanken Knochen klappern wir die Wahrheit,
Und mancher lög und lebte lieber wieder.

Diese Ambivalenz des Todes erlebte er in den letzten Tagen deutlich.

Auf der einen Seite: der rasch fortschreitende körperliche Zerfall, den er mit Stoizismus akzeptierte:

Auf die Ankündigung, er werde Blutkonserven bekommen, antwortete er: bitte nicht von einem Schlagersänger.

Auf der anderen Seite: seine geistige am Leben hängende Vitalität:

Zwischen den Untersuchungen nutzte er die Zeit, um Weihnachtslieder für zwei Melodieinstrumente zu setzen und gab noch kurz vor seinem Ende letzte Anweisungen zu einem Skizzenblatt für ein Violoncellosolo.

Wahrscheinlich werden einige seiner Werke noch gespielt werden, wenn wir, die wir ihn gekannt haben, nicht mehr sind.

Dies ist für uns eine schöne Vision.

Als Dank für die Verehrung und Freundschaft, die meinem Vater und seinem Werk gerade hier in diesem Hause immer wieder entgegengebracht wurde, wollen wir der Hochschulbibliothek sein gesamtes gedrucktes Schaffen überlassen (immerhin 185 Bände) und wir wünschen uns, dass auch in Zukunft der ein oder andere die Möglichkeit wahrnimmt, den musikalischen Kosmos dieses Lebenswerkes verstehen zu wollen.

Das letzte Buch in dem mein Vater las, war "Die Reden des Seneca".

Dort hat er folgendes unterstrichen:

Durchmustere die Tage deines Lebens — und du wirst sehen, wie wenige auf deinem Konto verbleiben, die dir selbst gehören ... Wer hingegen richtig lebt, jeden Augenblick nützt und jeden Tag so einrichtet, als wäre er der letzte, der lebt im ewigen Jetzt.

Lehrer in den Künsten und Wissenschaften gibt es genug, leben aber muß man das ganze Dasein hindurch selbst lernen, bis man Meister ist.

Soviele drängen stürmisch vorwärts und leiden an der Sehnsucht nach der Zukunft, am Überdruß der Gegenwart. Du bist geschäftig, dein Leben eilt dahin; inzwischen wird der Tod erscheinen, für den du, ob du willst oder nicht, Zeit haben mußt ...

Das größte Hindernis glücklichen Lebens ist die Erwartung, die vom Morgen abhängt.

Du verlierst den heutigen Tag; was in der Hand des Schicksals liegt, suchst du zu ordnen; was in der deinigen liegt, läßt du fahren. Wie falsch denkst du!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 



 

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